Wertschöpfung braucht Wertschätzung

Blogartikel
01. Mär. 2023
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4 Min.
Massive Unzufriedenheit mit der Führungskultur in deutschen Unternehmen

Fast zwei Drittel der Mitarbeitenden sind unzufrieden. Dies ist das Ergebnis einer repräsentativen Studie der Initiative Chefsache vom Februar 2022.

Ein ähnliches Bild zeichnet der seit gut 20 Jahren durchgeführte Gallup Engagement Index.
Die Studie gibt Auskunft darüber, wie hoch der Grad der emotionalen Bindung von Mitarbeitenden und damit das Engagement und die Motivation bei der Arbeit ist. Die Ergebnisse sind seit 20 Jahren nahezu unverändert.

Knapp 20 Prozent der Mitarbeitenden sind hochmotiviert, 80 Prozent eher nicht oder gar nicht. Als Grund werden bei Befragungen von den Mitarbeiter:innen immer wieder Defizite in der Führung genannt. Das sehen die Führungskräfte offenbar ganz anders: Gallup stellte in den Jahren 2016-2021 fest, dass 97 % der Chef:innen sich für eine wirklich gute Führungskraft halten. Gleichzeitig berichten 69 % der Mitarbeitenden von aus ihrer Sicht schlechten Führungskräften. Selbst- und Fremdbild deutscher Führungskräfte klaffen offenbar erheblich auseinander.

Führungstrainings funktionieren nicht

Ähnliche Ergebnisse werden aus den USA berichtet. Dort werden im Jahr knapp 200 Mrd. Dollar (!!) für Führungsentwicklung ausgegeben, aber McKinsey berichtet, dass die erwünschten Ergebnisse nicht erreicht werden. Als Hauptgründe gelten die folgenden Aspekte:

  • Eine „one size fits all" Mentalität, mit einem Standardcurriculum, unabhängig vom Kontext des Unternehmens

  • Zu wenig Berücksichtigung der Unternehmenskulturen

  • Zu wenig Verständnis, dass das Innere der Führungskräfte, ihr Mindset entscheidend ist

  • Zu wenige Messkriterien für die Fortschrittsverfolgung

Das entspricht auch meiner persönlichen Erfahrung. Seit mehr als 30 Jahren beschäftige ich mich aktiv und als Begleiter mit Führung und Unternehmenskulturen. Wenn ich heute (nach mehr als 40 Jahren Führungstrainings) in die Unternehmen komme, finde ich immer noch überwiegend „Command und Control“ oder „Management by Objectives“ vor. Beides Managementstile, die sich in erster Linie um fachlich/sachliche Aspekte kümmern. Leadership bedeutet aber, dass es um die Menschen und deren Beziehungen geht. Steven Covey, der amerikanische Leadership Guru hatte bereits in den 90igern den Satz geprägt: Wir managen Dinge und wir führen Menschen.

Das gilt auch heute noch. Für mich ist das größte Manko in der Führungsausbildung die Tatsache, dass in unserer Welt, in der viele immer noch der Ansicht sind, dass Unternehmen wie Maschinen funktionieren, der Verstand die Regie führt. Aber wenn es um Beziehungen zu Menschen geht, ist der Verstand zweitrangig, dann ist das Herz gefragt. Diese Erkenntnis setzt sich erst langsam durch, denn auch viele Ausbilder sind noch im alten Paradigma gefangen.

In einer Zeit des Fachkräftemangels, wo die Macht der Arbeitnehmer oder besser der Mitwirkenden immer mehr steigt, wird es für viele Unternehmen überlebenswichtig werden, dass viel mehr Menschen eine hohe emotionale Bindung zum Unternehmen bekommen.

Was aber braucht es, dass mehr Engagement und Motivation entstehen? Der Schlüssel sind Führungskräfte, und zwar die, die immer mehr verstehen, dass es um die Menschen geht und ein Unternehmen ein sozialer Organismus ist.

Woher kommt die Motivation beim Menschen?

Vor ca. 20 Jahren wurden die neurobiologischen Zentren für Motivation, Lebenswillen, Lust auf Leistung usw. im Gehirn entdeckt. Wenn die richtigen Bedingungen vorhanden sind, dann werden Botenstoffe wie Dopamin (Leistungs- und Motivationshormon), Serotonin (Wohlfühlhormon) oder Oxytozin (Beziehungshormon) in den Körper ausgeschüttet.

Dann entstehen Bedingungen für Lust am Leben, Gemeinsam etwas bewegen und Erfolge genießen.

Entscheidende Voraussetzungen für diese biologischen Funktionen sind das Interesse, die soziale Anerkennung und die persönliche Wertschätzung, die einem Menschen von anderen Menschen (wichtigen Bezugspersonen wie der eigenen Führungskraft) entgegengebracht werden.

Der Mensch ist also ein auf soziale Resonanz und Kooperation angelegtes geistiges Wesen. Die Mär des „survival of the fittest“ - also dass der Mensch im Kern wettbewerbsorientiert ist - die uns immer eingetrichtert wurde (was in Wahrheit die „am besten angepassten Spezies“ bedeutete), kann neurobiologisch heute nicht mehr aufrechterhalten werden. Sie ist aber immer noch die Ursache für viele toxische Führungs- und Unternehmenskulturen. Es werden einfach zu viele Menschen in höchste Positionen befördert, die in „Humankapital“ denken.

Genau darum geht es. Führungskräfte müssen lernen, ihre Mitarbeitenden anzunehmen, wie sie sind, immer weniger zu bewerten und sich für sie wirklich zu interessieren. Wertschätzung ist deshalb eine Herzens- und Geisteshaltung, die immer den ganzen Menschen sieht und nicht nur dessen Ertrag. Damit wird aus der „Human Ressource“ wieder ein menschliches Wesen.

Da viele Führungskräfte diese Haltungen und Fähigkeiten in ihrem Privatleben bereits teilweise leben, geht es überwiegend darum, den materialistischen Mindset, dass es im Unternehmen nur um sachliche Dinge zu gehen hat, hinter sich zu lassen. Frauen in Führung tun sich damit häufig leichter, deshalb werden ihnen in vielen Studien auch die besseren Führungsqualitäten zugesprochen.

Wertschätzung praktizieren

Wertschätzung wird unter anderem durch folgende Aspekte ausgedrückt

  • Soziale Anerkennung

  • Interesse

  • Achtung

  • Würdigung

  • Respekt

  • Dankbarkeit

Im Alltag können die folgenden Beispiele helfen, ein besseres Gefühl für Wertschätzung geben, zu bekommen:

  • Ein anerkennendes Wort

  • Ein anerkennender Blick auf Augenhöhe

  • Ein interessiertes Hinhören

  • Ein wohlwollendes Kopfnicken

  • Ein anteilnehmendes Lächeln

  • Ein dezentes Schulterklopfen

  • Eine neugierige Rückfrage

  • Eine kleine Überraschung

  • Eine kurze Mail mit Dank oder Glückwünschen

  • Eine Bitte um Rat

  • Zeit schenken

  • Bedürfnisse erkennen

  • Vertrauen beweisen

  • Respektvoll kommunizieren

Dabei gibt es aber einen wichtigen Aspekt zu berücksichtigen, den bereits Arthur Schopenhauer kannte:

„Um fremden Wert willig und frei anzuerkennen, muss man einen eigenen haben“

Das ist der Grund, warum Führungskräfte mit Zweifeln an ihrem Selbstwert (da gibt es mehr als Sie denken, denn Machtpositionen sind hervorragend geeignet, mangelnde Selbstwertgefühle zu kompensieren) sich so schwer tun mit Wertschätzung geben. Was man glaubt, nicht zu haben, kann man auch nicht geben. Coaching kann hier wertvolle Unterstützung geben.

Wer Wertschöpfung haben möchte, sollte Wertschätzung häufig geben. Es ist kostenfrei, braucht keine Budgetkostenstelle und keine aufwendigen Ausbildungen.

Wer als Führungskraft wahre, authentische Wertschätzung vermittelt und lebt, wird langfristig die Kultur und Arbeitsatmosphäre spürbar verbessern, Fehlzeiten verringern, Fachkräfte anziehen und behalten und mit einem loyalen, leistungsfähigen und begeisterten Team belohnt werden.

Franz Neumeyer

Innovation Architect